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Johannes Rauthe beteiligt sich mit anderen am Predigtdienst (wahrscheinlich in den 1920er-Jahren)

AUS UNSEREM ARCHIV

Es drängte sie, Jehova zu preisen

Es drängte sie, Jehova zu preisen

„ALLE Kriege der Vergangenheit verblassen . . . vor dem gegenwärtigen großen Kampfe, der in Europa geführt wird.“ So wurde im Wacht-Turm vom Februar 1916 der Erste Weltkrieg beschrieben, in den schließlich fast 30 Länder verwickelt waren. Im Wacht-Turm wurde berichtet, dass die Kampfhandlungen das Predigtwerk vor allem in Deutschland und Frankreich beeinträchtigt hatten.

Die Bibelforscher verstanden zu dieser Zeit den Grundsatz der christlichen Neutralität noch nicht völlig, wurden nun aber mit einem militärischen Konflikt von weltweitem Ausmaß konfrontiert. Sie waren trotzdem entschlossen, die gute Botschaft zu verkündigen. Das wollte auch Wilhelm Hildebrandt, weshalb er Exemplare des monatlich erscheinenden Schriftforschers in Französisch bestellte. Nein, er war nicht als Kolporteur (Vollzeitprediger) in Frankreich, sondern als deutscher Soldat. Dieser vermeintliche Feind, der in einer Militäruniform steckte, vermittelte zum Erstaunen französischer Passanten eine Botschaft des Friedens.

Auch andere deutsche Bibelforscher verspürten den Wunsch, während ihrer Militärzeit über die gute Botschaft zu sprechen, wie im Wacht-Turm abgedruckte Briefe andeuten. Bruder Lemke diente in der Marine und erzählte, dass er bei fünf Leuten seiner Besatzung auf Interesse gestoßen war. Wie er schrieb, durfte er zum Lobpreis Jehovas auch auf dem Schiff gute Ergebnisse sehen.

Georg Kayser ging als Soldat an die Front und kehrte als Diener des wahren Gottes nach Hause zurück. Was war geschehen? Irgendwie war ihm eine Publikation der Bibelforscher in die Hände gefallen. Er entschied sich von ganzem Herzen für die Wahrheit und legte seine Waffen nieder. Dann leistete er waffenlosen Dienst. Nach dem Krieg war er viele Jahre ein eifriger Pionier.

Obwohl die Bibelforscher noch nicht völlig verstanden, was christliche Neutralität bedeutet, stand ihre Einstellung und ihr Verhalten in krassem Gegensatz zu den Ansichten und Handlungen von Kriegsbefürwortern. Während Politiker und Kirchenführer den Kampfeswillen weiter anfeuerten, hielten die Bibelforscher zum „Fürst des Friedens“ (Jes. 9:6). Wenn auch einige nicht strikt neutral blieben, standen sie dennoch fest zu der Überzeugung, die Konrad Mörtter so formulierte: „Ich [erkannte] aus Gottes Wort klar, dass ein Christ nicht töten darf“ (2. Mo. 20:13). *

Hans Hölterhoff benutzt seinen Handwagen, um Das Goldene Zeitalter anzubieten

In Deutschland, wo es keine gesetzliche Grundlage für Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen gab, lehnten mehr als 20 Bibelforscher jede Beteiligung am Militärdienst ab. Einige von ihnen erklärte man für geisteskrank, so zum Beispiel Gustav Kujath, den man in eine Nervenheilanstalt brachte und mit Medikamenten ruhigstellte. Hans Hölterhoff widersetzte sich ebenfalls der Einberufung und kam ins Gefängnis, wo er jede Arbeit verweigerte, die Kriegszwecken diente. Gefängniswärter spannten ihn so lange in eine Zwangsjacke, bis seine Gliedmaßen wie abgestorben waren. Da sie seine Treue nicht brechen konnten, inszenierten sie eine Scheinhinrichtung. Hans blieb jedoch während des ganzen Krieges standhaft.

Andere einberufene Brüder weigerten sich, Waffen zu tragen, und baten darum, waffenlosen Dienst zu verrichten. * Einer davon war Johannes Rauthe, dem man daraufhin Arbeit in der Eisenbahneinheit zuteilte. Konrad Mörtter wurde als Sanitäter eingesetzt und Reinhold Weber als Krankenpfleger. August Krafzig bewachte das Gepäck. Auch er war dankbar, dass er wegen seiner Arbeit nicht an die Front musste. Diese und andere Bibelforscher waren entschlossen, Jehova zu dienen — entsprechend ihres Verständnisses von Liebe und Loyalität.

Die Bibelforscher in Deutschland kamen wegen ihres Verhaltens während des Krieges unter genaue Beobachtung der Behörden. In den folgenden Jahren kam es aufgrund ihrer Predigttätigkeit zu Tausenden von Gerichtsfällen. Um die Brüder zu unterstützen, richtete man im Bethel in Magdeburg eine Rechtsabteilung ein.

Jehovas Zeugen verstanden immer besser, was es bedeutet, als Christ neutral zu sein. Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, bewahrten sie eine neutrale Haltung und distanzierten sich völlig vom Militär. Deshalb betrachtete man sie als Staatsfeinde und verfolgte sie grausam. Doch das liefert genug Stoff für einen weiteren Beitrag der Serie „Aus unserem Archiv“. (Aus unserem Archiv in Zentraleuropa.)

^ Abs. 7 Siehe den Bericht von Bibelforschern in Großbritannien während des Ersten Weltkrieges im Wachtturm vom 15. Mai 2013, „Aus unserem Archiv: Treu in einer wirklich schweren Zeit“.

^ Abs. 9 Im sechsten Band der Serie Millennium-Tagesanbruch (1904) und der deutschen Ausgabe von Zion’s Watch Tower vom August 1906 wurde diese Verhaltensweise empfohlen. The Watch Tower vom September 1915 lieferte jedoch ein klareres Verständnis und riet den Bibelforschern, möglichst nicht zum Militär zu gehen. Dieser Artikel erschien allerdings nicht in der deutschen Ausgabe.